Es beginnt mit einem Brief, einem herzzerreißenden Brief eines zehnjährigen Mädchens, das sich eine Freundin für seinen Vater wünscht. Dieser hat vor vier Jahren seine Frau an den Krebs verloren und erzieht seine Tochter seitdem allein. Sadie, eine junge Frau, die, als Beauftragte der Weihnachtsrubrik, des Magazins, für das sie schreibt, diese unschuldigen, selbstlosen Briefe der Zehnjährigen erreichen, kann nicht anders, als auf die Briefe zu reagieren, sodass sie sich eines Tages vor der Tür der Adresse findet, von der die Briefe kommen und ehe sie sich versieht hat sie sich in einer Lüge verheddert, aus der sie nicht mehr so leicht herauskommt.
Vom Tempo her plätschert die Geschichte so vor sich hin, ohne zunächst zu wissen, wo es überhaupt entlang geht. Es zeichnet sich das Bild eines typischen Großstadtlebens ab, dessen Hektik und Geschäftigkeit, dessen Eingängigkeit von den Worten eines Kindes unterbrochen werden. Gewisse Teile der Handlung sind schon vorhersehbar und auch das Ende, auf das es hinausläuft, ist klar. Hier gilt also eindeutig die Devise: Der Weg ist das Ziel. Und dieser Weg ist alles andere als gerade. Immer wieder werden kleinere und größere Umwege genommen, ohne, dass sie irgendwie im Kreis gedreht wird. Es gefällt mir, dass es kein ständiges on-off ist, sondern, dass Probleme angesprochen und auf vernünftige Weise geklärt werden - an dieser Stellen ist am deutlichsten zu merken, dass wir hier von reifen Erwachsenen reden, deren geistige Entwicklung nicht mit 16 geendet hat. Anfangs scheint alles noch, als wäre alles ein riesiger Zufall, doch nach und nach baut sich ein Bild auf, dass Sinn zu ergeben scheint, Fragen, die sich im Laufe des Romans auftun, werden beantwortet, wenngleich auch eine entscheidende Frage unbeantwortet bleibt. Dies ist jedoch nachvollziehbar zu erklären, da die Person, die darauf eine Antwort geben könnte, selbige mit ins Grab genommen hat.
Auch wenn natürlich die Beziehung zwischen Sadie und Sebastian im Vordergrund steht, so wird auch dem Thema des Verlustes eines Elternteils in jungen Jahren und dem Sehnen nach einer weiblichen Bezugsperson deutlich Aufmerksamkeit beigemessen, was sich vor allem durch Sadies Beziehung zu Birdie wiederspiegelt.
Sadie ist ein herzensguter Mensch, bei stimmt der Spruch das Herz am rechten Fleck zu haben. Es fühlt sich unglaublich leicht an sie in ihrem natürlichen Umfeld kennenzulernen. Sadie ist ein sehr gefühlsbetonter Charakter, meistens ist das Herz schneller und stärker als der Kopf und sie tut Dinge, die sie vielleicht lieber nicht tun sollte. Ihre liebenswerte, herzliche macht es einem nicht schwer sie zu mögen. Ich würde sie nicht unbedingt als impulsiv beschreiben, doch wenn ihre Gefühle mit ihr durchgehen ist sie nicht mehr zu halten. Sie ist eine sehr authentisch gezeichnete Figur, der man gut und gerne auch auf der Straße begegnen kann.
Sebastian ist mir als recht schwermütiger Mensch begegnet. Der Alltag hatte ihn fest in seinen Klauen, sodass er nur zwischen Arbeit und seiner Tochter hin und her gependelt ist. Für alles andere war keine Zeit - er hat sich regelrecht dafür aufgeopfert. Vielleicht auch in Rücksicht auf Birdie, ist er recht misstrauisch und sehr vorsichtig. Seine Tochter ist alles für ihn, da stellt er sich selbst lieber hinten an. Er ist durch und durch ein Familienmensch und blüht durch Sadie mit der Zeit regelrecht auf, man könnte fast gar von einem neuen Menschen sprechen. Auch er ist, wie Sadie, unglaublich authentisch gezeichnet, mit Fehlern, Macken, Wut, Humor und Freude.
Von Birdie war ich von Beginn an einfach nur begeistert. Ihr kindlicher Charakter ist mit viel
Hingabe gezeichnet. Ihre, für Kinder oft typische, Offenheit ist erfrischend und schafft es die Ernsthaftigkeit aufzulockern. Sie ist aufgewecktes, feinfühliges Mädchen, das seinen Vater absolut um den Finger gewickelt hat und dies auch bei mir ziemlich schnell geschafft hat. Man kann nicht anders, man muss sie einfach gern haben.
Erzählt wird in einer offensiven und alltagsnahen Sprache, die den Leser/ die Leserin sofort einnimmt, wenn man sich darauf einlassen will. Mit einer Prise Humor, die in den meisten Fällen von Birdie ausgeht, und hin und wieder einem Moment, der zum Schmunzeln anregt, werden durchaus ernst zu nehmende Themen leicht und spielerisch herübergebracht. Die Offenheit der Autorinnen überrascht mich immer wieder und an manchen Stellen erschlägt sie mich regelrecht - ein bisschen zu viel des Guten.
Ein besonderes Augenmerk möchte ich noch auf Birdies Briefe und die Dialoge mir ihr legen, da ich es alles andere als leicht finde, den Charakter eines Kindes einzufangen, vor allem wenn es eine so bedeutende Rolle im Roman spielt: Von der Ausgestaltung ihrer Sprache bin ich maßlos begeistert. Ihre Worte spiegeln die Unschuld, den Geist und die Logik eines Kindes auf einzigartige Weise wieder, offen bringt sie ihr Herz zwischen den Zeilen auf das Papier. Einfach nur Hut ab!
Von bitter- bis zuckersüß - hier wird jede Facette von Schmerz über Enttäuschung bis Glück mitgenommen. Was unschuldig beginnt entwickelt sich zu einer schmerz-, aber auch humorvollen Liebesgeschichte, die mich und euch in eine kleine Welt, mitten in der Weltstadt New York, entführt und nicht mehr loslässt.