"Wieder berührt er sie am Arm, als wollte er sich vergewissern, dass sie real ist. Sie wendet sich ihm zu, und im Raum stehen fünf Jahre voller Fragen, noch ungeformt. Warum bist du weggegangen? Warum bist du zurückgekommen? Was auch immer du gelernt hast, war es wirklich den Schmerz wert, den du uns zugefügt hast?" - Buchzitat (S. 113)
Was ist ein Haus ohne seine Bewohner, ohne Möbel und Bilder, ohne Familienfotos, Vasen auf Tischplatten, Bettzeug in Schränken, eine gefüllte Vorratskammer? Töpfe, Siebe, ein Wok. Tischsets, Besteck, Weingläser. Tupperdosen, Einmachgläser, von Mimi beschriftete Kräuterdöschen. Regale über Regale mit Büchern. - Buchzitat (S. 160)
Dani Shapiros "Leuchtfeuer" ist eine fesselnde und vielschichtige Erzählung, die eine breite Palette von Themen wie Familie, Tod, Trauer, Demenz, Autismus, Geschwisterliebe, Ehe, Eltern-Kind-Beziehung, Alkoholsucht, Untreue und Entfremdung behandelt. Das Setting in einem typisch amerikanischen Vorort verleiht der Geschichte eine vertraute Atmosphäre, während die leicht esoterisch anmutende Botschaft von der Verbundenheit aller Dinge dem Roman eine zusätzliche Tiefe verleiht.
"Der Himmel von 1936 mit dem Himmel von 2010. Aus dieser Entfernung scheint es möglich, dass alles gleichzeitig geschieht: dieses Leben, jenes Leben eine unermessliche Anzahl von Leben, die sich alle parallel abspielen." - Buchzitat (S. 31)
Beim Betrachten des Covers hätte ich nicht erwartet, dass sich hinter diesem Buch eine so komplexe Geschichte verbirgt. Leider bleibt die genaue Bedeutung des Covers auch nach dem Lesen für mich unklar. Die Bedeutung des Titels konnte ich mir zusammenreimen. Der Klappentext hält das Geheimnis der Geschichte gut unter Verschluss, obwohl das Geheimnis selbst bereits früh im Buch aufgedeckt wird. Persönlich mag ich es, wenn der Klappentext nicht zu viel vorwegnimmt. Insofern hat das für mich gut gepasst. Das Buch lässt sich, wie ich finde, schwer in Worte fassen. Der Schreibstil ist eigentlich angenehm und flüssig, dennoch hatte ich anfangs etwas Mühe reinzukommen. Zum Glück hat es mich dann aber doch noch gecatcht und seine ganz eigene Magie verbreitet. Trotz vieler Zeitsprünge (1999, 2010, 2014 und 2020) gelingt es Shapiro, die Handlung fließend zu gestalten, obwohl es manchmal eine Herausforderung sein kann, die Ereignisse richtig einzuordnen. Die Aufteilung in einzelne Kapitel, die jeweils aus der Perspektive einer bestimmten Figur geschrieben sind, ermöglicht es den Leser:innen, die Entwicklung der Charaktere besser nachzuvollziehen. Obwohl es viele Charaktere gibt, sind sie gut voneinander zu unterscheiden. Einige Figuren werden detaillierter beschrieben als andere, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sie im Verlauf der Geschichte eine weniger aktive Rolle spielen. Dennoch hätte ich gerne noch mehr Einblicke in ihre Gefühlswelt bekommen. Für mich persönlich ist die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Ben und Waldo das Highlight des Buches, das der Geschichte eine besondere Tiefe verleiht.
"Er ist praktisch veranlagt, doch an einem wortlosen Ort tief in seinem Innern ist Ben Wilf zu der Überzeugung gelangt, dass unser Leben schleifenförmig verläuft und nicht in einer gerade Linie; dass die Luft selbst nicht bloß aus Molekülen besteht, sondern aus Erinnerung; dass diese Schleifen ein unsichtbares Muster bilden, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Teil dieses Musters sind; dass sich unsere Leben für Bruchteil von Sekunden überschneiden, die Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende sind; dass nichts je verschwindet." - Buchzitat (S. 165)
Insgesamt ist "Leuchtfeuer" ein Buch, das leise, aber eindringlich von den Verstrickungen des Lebens erzählt und dabei wichtige Themen anspricht. Es ist ein Roman, der nicht laut daher kommt, sondern im Stillen viel mit sich trägt. Mich hat es jedenfalls unterhalten und nachdenklich gemacht, und ich bin sicher, dass es noch lange in mir nachhallen wird. Ein einfühlsamer und bewegender Roman, der durch seine Vielschichtigkeit und Menschlichkeit überzeugt. Ich vergebe daher 4 von 5 Sternen.