In der Reihe der Waringhams werden ein paar Generationen übersprungen und so befinden wir uns hier mit unserem Protagonisten Nick of Waringham direkt in der Tudorzeit. So besucht der Junge eine humanistische Schule in London, als er seine Ausbildung abbrechen und zurück nach Waringham kehren muss, als sein Vater als Reformer wegen Ketzerei angeklagt wird. Doch in Zeiten, in denen König Henry VIII. seine erste Frau Katharina von Aragon loswerden will, lebt niemand lange, der die Pläne des Königs gefährden könnte. Doch Nick steht fest an der Seite Mary Tudors, seit in eine tiefe Freundschaft mit der Königstochter, die zum Bastard erklärt wurde, verbindet.
Wie immer war es eine Freude, auf ein Neues in einem der Waringham-Romane einzutauchen, und in der Welt Englands am Übergang von Mittelalter zu Neuzeit zu versinken. Rebecca Gablés Schreibstil hat wieder einmal außerordentlich Spaß gemacht. Ein geschultes Auge für Detailreichtum ohne langatmig zu werden. Die Historie bietet wieder einmal genug Rahmen für eine überaus spannend Handlung, auch wenn sie sich in diesem Roman zum ersten Mal in der Serie nicht auf Schlachtengetümmel, sondern rein auf höfische und außerhöfische Intrigen beschränkt, was sicherlich dem geschuldet ist, dass wir das Mittelalter, und damit das Zeitalter der großen Reiterschlachten - die Waringhams waren ja immer schon begnadete Reiter - verlassen haben. Sicherlich ist das aber auch dem Geschuldet, dass die Beziehung zwischen Nick und dem König auf keinem guten Boden fußt.
Damit währen wir auch schon bei den Protagonist:innen. Wir haben wieder ganz klar alles in Antagonist:innen und Sympathieträger:innen unterteilt, was mich nicht weiter stört, da Rebecca Gablé es immer vermag, die Figuren facettenreich und jeweils mit durchaus negativen bzw. positiven Charaktereigenschaften auszubilden, wodurch einem ein klar gezogenes Schwarz-Weiß-Bild erspart bleibt. Hinzu kommt, dass die Protagonist:innen auch hier wieder mehr oder minder einen Charakterwechsel durchmachen. So war ich beispielsweise von Robin anfangs überaus kein Fan, bedingt durch seine naive Weltsicht und sein teilweise überaus unreflektiertes Handeln oder aber auch durch Handlungen, die dem heutigen Gerechtigkeitssinn merklich widersprechen. Dieser Wesenswandel, den er im Laufe des Buches dann aber hinlegt - er wird reifer und intelligenter - hat mich besonders begeistert und teilweise schon für mich persönlich überraschende Ausmaße angenommen.
Ein Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist, dass ich die Wahl Mary Tudors als eine der wichtigsten Figuren des Buches und als eine der Weggefährtinnen anfangs recht befremdlich gefunden habe. Denn wer sich ein wenig mit der Tudorzeit auseinander gesetzt hat, weiß, dass es sich bei der Schwester Elizabeths um eine der eher mäßig populären Figuren der britischen Geschichte handelt, die nicht umsonst Bloody Mary genannt wird. Allerdings endet der Roman knapp hinter der Krönung besagten Staatsoberhauptes und die Staatshandlungen, die man aus heutiger Sicht gewiss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit beurteilen würde, finden sich wohl erst im nächsten Roman des Zyklus. Darüber hinaus gibt die Autorin einem mit dem Nachwort auch Verständnis mit auf den Weg, warum für den Handlunsgzeitraum gerade Mary als solch inspirierende Figur diente.
Kurzum wieder einmal ein wunderbarer Gablé, der mich wirklich überraschen konnte, und der in vielerlei Hinsicht eine Achterbahn der Gefühle war. Um so mehr ein Must Read für jeden Fan der englischen Geschichte.