Die Gestaltung
Das Cover des E-Books entspricht der Aufmachung des Filmes, was mich schon ein wenig gestört hat. Ich finde die Print-Ausgaben viel schöner, da sie alle einheitlich zueinander passen. Aber wie sagt man doch: Don’t judge a book by its cover.
Die Gestaltung im Inneren ist aber dafür umso besser. Die Kapitel an sich sind sehr schlicht gehalten, aber wie auch in den anderen Büchern der Reihe rund um den Symbolologen Robert Langdon finden sich zwischendurch ein paar Grafiken und auch Diagramme, sowie zum Inhalt passende Gedichtverse, die beispielsweise in Spiralenform abgedruckt wurden. Auch wurde die Schriftart bei den Worten, die in einem Film gesprochen wurden, der im Laufe von Langdons „Ermittlungen“ eine sehr zentrale Rolle einnimmt, abgeändert, sodass ein klarer Kontrast erkennbar war.
Auch Wörter und Phrasen in anderen Sprachen sowie Fachbegriffe wurden in kursiv gedrucktem Text dargestellt, wodurch das Gesamtbild einheitlich und doch sehr clever durchdacht wirkte.
Der Erzählstil
Dan Brown ist bekannt für seinen einerseits sehr spannungsgeladenen Schreibstil durch seine feinfühlige Wortwahl, und andererseits besonders auffälligen Hang zu ausführlichen Erklärungen. Hier das richtige Maß zu finden, ist nicht immer einfach, und das hat Dan Brown in diesem Buch (leider) deutlich gezeigt.
Auf der einen Seite hat sich Dan Brown wunderbar darauf verstanden, mich als Leserin mitzureißen und Spannung aufzubauen, wo eigentlich kaum Spannung war. Dadurch bin ich geradezu durch die Seiten geflogen, und besonders gestern habe ich deshalb mehr als 30 Kapitel am Stück gelesen, was schon eine beträchtliche Leistung ist. Gleichzeitig war seine Art zu Schreiben sehr intellektuell angehaucht, passend also zu Robert Langdons Hintergrund als Harvard-Professor für den fiktiven Beruf Symbolologie. Ja, richtig gehört, den Beruf als Symbolologe hat sich Brown frei ausgedacht und gibt es nicht in der Realität. Zwar habe ich anfangs auch geglaubt, dass einfach Symbologe falsch geschrieben wurde, bis ich die Wahrheit erkannt habe – und leider wird dieser Irrtum, der sicherlich vielen Lesern von Dan Browns Thrillern gar nicht erst auffällt, nur durch den Verlag unterstützt, da in den Klappentexten immer von Symbologie statt von Symbolologie gesprochen wird. So viel aber nur als Anmerkung, falls ihr verwirrt sein solltet.
Also, da ich ein wenig abgeschweift bin, noch mal zurück zu dem Punkt, den ich hatte ansprechen wollen: Der Schreibstil wirkt sehr intellektuell, da man von Dan Brown durch die Kunstgeschichte Italiens geführt wird, ohne dass es merklich langweilig wird. Die Verbindung von Mystik, Action und Historie ist Brown hier fantastisch gelungen, da alles sehr spannend ineinander verzweigt war, sodass man keine imaginären Trennwände dazwischen ziehen konnte. Außerdem kann man das Buch somit in keine der typischen Schubladen stecken. Trotzdem waren die Ausführungen teilweise zu langatmig, da einige Absätze geradezu überquellen mit Daten, Namen und Fachwörtern, die man sich einzig aus dem Kontext erschließen kann – oder eben auch nicht.
Und an dieser Stelle schließe ich mich jetzt einfach mal den vielen anderen Rezensenten des Buches an, die diesen Punkt ebenfalls mit in ihre Bewertung haben einfließen lassen, denn die Recherchearbeit, die Dan Brown hier und in jedem anderen seiner Bücher geleistet hat, ist wirklich beeindruckend. Er hat sich umfassend über Architektur, Kunst, Literatur, Geschichte und Kultur informiert und dieses Wissen an den Leser weitergegeben, der nach dem Lesen des Buches auf jeden Fall ein Stückchen schlauer ist als vorher – anders geht es gar nicht. Zudem sind im Laufe der Story keinerlei Logikfehler aufgetreten, und selbst die zuvor erwähnten langwierigen Beschreibungen wurden sehr spannend rübergebracht, sodass ich zu dem Schluss gekommen bin, dass das Buch ohne diese nicht so gut wäre wie ohne.
Die Handlung
Wahrscheinlich habt ihr jetzt schon gemerkt, dass ich über „Inferno“ einiges zu sagen habe – und ich bin noch lange nicht fertig damit, meine Gedanken hier aufzuschreiben.
Obwohl das Buch sehr historisch geprägt ist und auf viele Ereignisse und Persönlichkeiten der Historie anspielt, umfasst es doch auch eine sehr aktuelle Thematik, die zudem sehr sozialkritisch ist. Überbevölkerung und Bioterror sind hier nur zwei Beispiele, die in der Geschichte behandelt werden, und das auch sehr ausführlich, auch wenn man bis zur Hälfte noch lange nicht das ganze Ausmaß davon erahnt. Besonders in Zeiten der Corona-Krise ist das Thema von „Inferno“ sehr interessant, aber weiter will ich nicht darauf eingehen, weil ich nicht vorweggreifen will. Auch die philosophische Richtung des Transhumanismus wird angesprochen. Ich bin mir sicher, dass viele von euch jetzt große Fragezeichen über ihren Köpfen schweben haben und sich denken „hä?“, weshalb ich mal kurz erklären will, worum es beim Transhumanismus geht. Der Transhumanismus ist eine moderne Philosophie, die die Beschleunigung der Evolution thematisiert. Okay, Beschleunigung ist wahrscheinlich nicht die richtige Bezeichnung, da die Anhänger des Transhumanismus, der mit dem Symbol H+ abgekürzt wird, fest davon überzeugt sind, die Menschheit habe die Pflicht, ihre Evolution durch Gentechnik und Genmanipulation (also durch Abänderung des Genmaterials im menschlichen Körper) fortzuführen. Ihr merkt also schon an meiner Erklärung, dass das Thema ziemlich komplex ist, und trotzdem hat Dan Brown es geschafft, dieses und gleichzeitig noch viele dazugehörige Themen, wie eben die Überbevölkerung und der Bioterrorismus, in sein Buch einzubringen, ohne dass es langweilig wird.
Hierbei greift Dan Brown aber nicht vor und sagt mit seiner Beschreibung, was der Leser von den Themen zu denken hat. Nein, stattdessen werden die Leser selbst zum Nachdenken über Ethik und Moral aufgefordert und angeregt, wodurch das Buch auch nachhaltig schwer beeindruckt. Das heißt also, Dan Brown hat es geschafft, Unterhaltungsliteratur und Wissenschaft in seinem Buch zu vereinen und dadurch einen sozialkritischen Hintergrund zu schaffen, der viel zu wenig in der Welt und besonders der Politik besprochen wird.
So, nun möchte ich aber mal das Gerede über die wissenschaftlichen und sozialkritischen Aspekte so stehenlassen und mehr auf die actionreiche Handlung eingehen.
Sehr auffällig ist gleich zu Beginn, dass das Buch keinen chronologischen 3-Akt-Aufbau (Anfang, Hauptteil, Schluss) besitzt, sondern mitten in der Geschichte anfängt. Dies ist eine willkommene Abwechslung, da der Leser durch Robert Langdons Amnesie keinerlei Ahnung hat, worauf die Geschichte letztendlich herausläuft. Trotzdem weiß der Leser zwischendurch mehr als der Protagonist, da nicht jedes Kapitel aus dessen Sicht erzählt wird.
An dieser Stelle möchte ich einmal vorweggreifen und direkt zu meinen Gedanken über das Ende des Buches kommen (ohne zu spoilern, versteht sich!): Im Grunde genommen habe ich kein Problem mit offenen Enden, aber in diesem Fall hat es mich irgendwie gestört, weil es so rüberkam, als wären letztendlich alle Bemühungen, die die Charaktere auf sich genommen haben, um das Rätsel zu lösen, komplett umsonst gewesen. Außerdem wird die Geschichte auf den letzten hundert Seiten immer vorhersehbarer, wodurch die Story selbst ein bisschen schwächelt.
Vorher gibt es jedoch immer wieder unerwartete Plot-Twists, die die Spannung ins Unermessliche steigern, aber leider ist das Grundgerüst mal wieder genau das gleiche wie in jedem anderer Robert-Langdon-Bücher von Dan Brown. Dadurch wirkte das Buch auf der einen Seite recht eintönig und auf der anderen sehr interessant, weil man unbedingt wissen will, was anders ist.
Die Charaktere
Hier will ich direkt an den vorherigen Absatz anschließen, denn ich komme sofort zu meinem nächsten Kritikpunkt. Leider scheint es nämlich, als hätte sich kaum etwas geändert in Langdons Verhalten seit er in „Illuminati“ seinen ersten Fall abgeschlossen hat. Damit meine ich genauer gesagt: Es wirkt, als hätte er sich überhaupt nicht weiterentwickelt. Seine Reaktionen erwecken den Anschein, als sei dies das erste Rätsel, das Langdon je aufbekommen hat, da überhaupt keine Verweise auf die vorherigen Bücher vorhanden sind. Dadurch fehlt es besonders ihm als Protagonist ein wenig an Tiefe. Außerdem waren seine Fähigkeiten und Kenntnisse trotz seines fiktiven Berufs als Professor für Symbolologie oft sehr weit hergeholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er trotz seines akademischen Grades über jede einzelne Person und jede einzelne Dichtung und jedes einzelne Kunstwerk der italienischen Kultur und Geschichte Bescheid weiß.
Die restlichen Charaktere sind sehr vielschichtig gestaltet. Besonders Sienna, der Provost und selbst Bertrand Zobrist überraschen immer wieder auf ganzer Ebene. Es ist nie ganz sicher, wer in diesem Fall eigentlich wirklich der Böse ist, und ich glaube, einige Charaktere wissen selbst nicht, welche Seite die richtige und welche die falsche ist. Aber noch mal zu Sienna, die eine meiner Lieblingscharaktere in dem Buch geworden ist: Ich fand ihre Persönlichkeit wirklich faszinierend und sehr sympathisch, aber leider blieb ein kleines Extra unbeachtet: sie hat einen IQ von 208 und trotz ihrer Schauspiel-Fähigkeiten, die sie bereits als Kind unter Beweis gestellt hat, wie man sehr früh in der Geschichte erfährt, sind die Erklärungen über ihr Verhalten teilweise ziemlich lahm. Ich meine, natürlich liegt ein IQ von 208 noch im Bereich des Möglichen, aber dass sie dadurch kaum Verhaltensauffälligkeiten bei der Interaktion mit anderen Menschen aufweist, ist schon ein Aspekt, der mich trotz ihrer zugegebenermaßen traumatischen Vergangenheit sehr gestört hat.
Fazit
„Inferno“ ist ein Pageturner, der Wissenschaft und Unterhaltungsliteratur miteinander vereint und gleichzeitig sehr sozialkritische und actionreiche Handlungen beinhaltet. Das Buch regt zum Nachdenken an und trotz einiger Kritikpunkte hat mir das Lesen sehr viel Spaß gemacht.