Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Maddy ist eine von 8 Teilnehmer:innen, die für eine Fernsehshow ein Jahr lang auf einer einsamen Insel überleben sollen – auf sich gestellt, ohne Kontakt zur Außenwelt. Doch schnell kommt es zu ersten Konflikten in der Gruppe und bald eskaliert die Situation völlig…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel
Inhaltswarnung: Tod von Menschen (auch Kindern), Trauer, Suizid, Depression, Mobbing (heftig!), Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwangerschaft, Sexismus, Gewalt, Blut, Alkohol- und Drogenmissbrauch
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++, Bit++, Fo+++, Miststück, Zicke
Meine Rezension
„Ich wusste, wie man überlebt und wie man heilt. Also wusste ich auch wie man tötet.“ Seite 185
Bei „Stranded“ hat mich der Klappentext total an „Isola“ von Isabel Abedi erinnert – eines meiner absoluten Lieblingsbücher meiner Jugend (große Empfehlung übrigens! ♥). In der Hoffnung, dass dieser Thriller ein ähnliches „Feeling“ heraufbeschwört, musste ich ihn einfach lesen! Doch konnte „Stranded“ meine hohen Erwartungen erfüllen? Leider nicht, dabei hätte ich es mir so gewünscht! Der Klappentext ist ziemlich irreführend und das Buch war ganz anders als erwartet – aber leider nicht auf die gute Art…
Doch zuerst zu den Stärken: Gut gefallen hat mir an der Geschichte, dass sie sich wirklich flüssig und schnell weglesen lässt und dass sich (zumindest stellenweise) eine große Beklemmung und Spannung einstellen, sodass das Buch zu einem echten Pageturner wird! Auch das Mobbing (übrigens sehr heftig und potenziell triggernd, daher gibt es von mir eine Inhaltswarnung!) und den Überlebenskampf der Hauptfigur fand ich sehr glaubwürdig, intensiv und interessant beschrieben. Die unheilvollen Vorausdeutungen mochte ich ebenfalls – es hat mir sehr großen Spaß gemacht, das Buch in einer Leserunde mit anderen zu lesen und gemeinsam zu rätseln, wie es weitergehen könnte.
Leider hat mich das Buch jedoch auch in vielen Punkten enttäuscht. Das Potential seiner guten Idee und seines (eigentlich) atmosphärischen Settings kann es nämlich leider nicht nutzen. Große Probleme hatte ich vor allem mit dem Schreibstil – er ist zwar recht flüssig, aber ich fand ihn leider auch sehr „grob“. Damit meine ich, dass ihm eine gewisse Eleganz fehlt. Außerdem ist er voller (auch inhaltlicher) Wiederholungen (Sätze beginnen sehr oft mit „Ich“) und wirkte darurch auf mich uninspiriert und ziemlich lieblos. Und wenn ich mit dem Schreibstil nicht warm werde, hat es ein Buch bei mir schwer. Zweitens ist die Geschichte seltsam strukturiert (was das Tempo betrifft) – immer wieder gibt es an (für mich) unpassenden Stellen lange Zeitsprünge, die viel Spannung rausnehmen. Generell dauert es sehr lang, bis die Geschichte in Schwung kommt und etwas passiert – gerade die ersten 150 Seiten fand ich daher eher zäh und langweilig zu lesen. Bei einem Thriller (!) muss da mehr kommen!
Drittens: Die Figuren bleiben großteils nicht nur unsympathisch, sondern so blass und austauschbar (liegt vielleicht auch an den wenigen Dialogen), dass ich zwei davon sogar immer wieder verwechselt habe. Gerade bei so einem Setting (einsame Insel, Gruppendynamik) wäre eine liebevolle Figurenzeichnung meiner Meinung nach unerlässlich gewesen! Die größte Schwäche dieses Buches sind (viertens) allerdings die unzähligen Logiklöcher, über die ich nicht hinwegsehen kann. Dabei bin ich niemand, dem Brüche in der Logik schnell auffallen oder stören, aber hier waren es derart riesige, unübersehbare Krater, dass die Geschichte für mich total unglaubwürdig wurde. Die ganze Plot-Konstruktion (Polizeiarbeit, Produktion der Sendung, Verhalten der Gruppe) steht auf so wackeligen Beinen, dass ich mir sicher war, am Ende kommt DER Twist, der alles erklärt und alle meine offenen Fragen beantworten wird – aber Fehlanzeige. Hoffentlich recherchiert die Autorin bei ihrem zweiten Buch besser! Den Schluss fand ich dann ziemlich lahm, der erhoffte Knall blieb aus und ich sehr unbefriedigt zurück.
Auch aus feministischer Sicht gab es (trotz der starken Hauptfigur) einiges, was mich genervt hat. Zum Beispiel die Tatsache, dass sich sofort eine klischeehafte Rollenverteilung im Camp einschleicht und dass die Bösen sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie Frauen als "Schla+++, Fo+++, Bi+++" usw. bezeichnen und ihnen Vergewaltigung androhen. Das muss doch im Jahr 2023 echt nicht sein, das geht besser! Schlimm fand ich auch, dass einfach niemand dort seinen Mund aufbekommt und diesem Sexisten mal ordentlich Kontra gibt… Vom Übersetzer (Dr. Holger Hanowell) würde ich mir übrigens auch etwas wünschen: Im Englischen gibt es ja keine weiblichen Formen, im Deutschen aber sehr wohl – und es wäre sehr nett, wenn eine Frau dann nicht (z. B.) als „Außenseiter“, sondern eben als „AußenseiterIN“ bezeichnet wird. Bitte in Zukunft darauf achten!
Mein Fazit
Stellenweise ist „Stranded“ ein beklemmender, intensiver Pageturner, der sich schnell weglesen lässt – seine Schwächen (Logiklöcher, blasse Figuren, lieblos wirkender Schreibstil, Sexismus, Spannungseinbrüche) kann ich ihm aber leider nicht verzeihen. Insgesamt lässt mich das Buch vor allem unbefriedigt zurück. Knappe 3 Sterne gehen sich aus, für eine Leseempfehlung reicht es aber leider nicht! Mein Vorschlag: Leseprobe anschauen und dann entscheiden.
Bewertung
Cover / Aufmachung: 4 Sterne
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Sterne
Umsetzung: 3 Sterne
Worldbuilding: 2 Sterne
Einstieg: 1 Stern
Ende: 2 Sterne
Schreibstil: 1 Stern
Protagonistin: 3 Sterne
Figuren: 2 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 3 Sterne
Insgesamt:
❀❀❀ Sterne
Dieses Buch bekommt von mir drei Sterne!