Mit „Ich, Eleanor Oliphant“ hat man ein Buch vor sich, das eines dieser Sorte ist, in das man schnell hineinfindet. Es wird von der im Titel Genannten erzählt, eine junge Frau, in Glasgow lebend. Sie geht, wie die meisten Menschen ihres Alters, einer geregelten Arbeit nach, wohnt in einer kleinen Wohnung und ihr Leben findet – dieser Gedanke kommt wohl so manchem hier und da – einzig zwischen Einkaufen, Bus, Arbeit und ihrem Zuhause statt. Ziemlich normal, möchte man glauben, aber tatsächlich lassen einen schon auf den ersten Seiten Kleinigkeiten erahnen, dass es ganz und gar nicht so ist. Dass nicht dieses „Normal“, über das man gar nicht mehr so richtig nachdenkt, ihr „Normal“ ist.
Gail Honeyman hat einen sehr erfrischenden, mit unterschwelligem Humor versehenen Schreibstil, und auch wenn das wohl mehr eine Floskel als eine wirkliche Feststellung ist, schreibt sie tatsächlich eigen. Was mir hauptsächlich einfallen würde, müsste ich ihren Schreibstil charakterisieren, sind scharfe, kleine Beobachtungen, die sie einbindet, auch solche, die man gar nicht mehr zu machen gedenkt, weil man – ohne dieser Tatsache etwas Negatives anhaften zu lassen – sich nur auf die wichtigen Dinge konzentriert. Von einem „abgefrorenen Hintern“ ist da die Rede, während sich die Protagonistin fragt, warum man denn nicht klipp und klar sagt, dass man kalte Hände hat; dass das Tanzen zu Musik heute kaum mehr als „unchoreografiertes Herumhüpfen“ ist. Da sind aber auch Bemerkungen, die eindeutig drauf schließen lassen, mit diesem negativen Aspekt, den ich zuvor nicht beimessen wollte, dass etwas nicht so richtig zu „stimmen“ scheint mit Eleanor. An vielen Stellen des Buches führt dieser Umstand meiner Meinung nach darauf zurück, dass die Autorin hier versucht, ungute Emotionen in das Gegenteil zu verwandeln, und ich glaube nicht, dass es Mitleid mit der Protagonistin sein soll. Vielmehr möchte sie durch die Einsicht, etwas ziemlich Unfaires zu denken, ein Be- und Umdenken anregen, das über das Buch gesehen definitiv passieren kann, wenn man nur offen dafür ist.
„Ich, Eleanor Oliphant“ ist ein lebensnahes Buch, flüssig geschrieben und angenehm zu lesen, nichtsdestotrotz schien es mir gleichzeitig das genaue Gegenteil zu sein. Obwohl die angewandte Erzählperspektive aus Sicht Eleanors absolut schlüssig ist und für mich eine kleine Meisterleistung darstellt, hat es die Autorin doch geschafft, sich für mein Gefühl perfekt in jemanden wie ihre Protagonistin hineinzuversetzen. Das Thema, das Gail Honeyman behandelt, ist einem irgendwo fremd, weil man es nicht sieht, weil Menschen die Eigenschaft, die mit dem Hauptthema des Buches verbunden ist, nicht öffentlich zeigen, sondern im Verborgenen damit leben. Gleichzeitig, obwohl ich während des Lesens keine Abscheu gegen es empfunden habe, wurde ich das Gefühl nicht los, etwas zur Belustigung zu lesen, belustigt sein zu sollen über das Leid einer liebenswerten jungen Frau. Diese Tatsache kann – wahrscheinlich ist es so – genau so von der Autorin gewollt gewesen sein, so offensichtlich gemacht, dass man sich über die darin liegende Absurdität klar wird und, wie schon zuvor erwähnt, ein Denkprozess angestoßen wird. Allerdings fand ich das, was Eleanor umtreibt, hier und da zu sehr romantisiert, zu sehr als etwas dargestellt, das Außenstehende mit selbstgefälliger Ader gut und gerne ein Grinsen ins Gesicht bringen kann.
Handlungstechnisch bin ich leider der Meinung, dass der Spannungsbogen etwas fehlt, ich habe rückblickend das Gefühl, nur von Eleanors tragischer Geschichte gelesen zu haben, nicht von ihrer Zukunft. Immer dieselben Szenen, Begegnungen mit einem Arbeitskollegen, dessen Mutter und anderen schmiegen sich unbedeutend und nicht wirklich mit einer Veränderung, die die Geschichte maßgeblich weiterbringt, aneinander. Auch wenn eine Handlung besteht, wurde der Roman für mich dadurch zu etwas Langatmigem. Es fehlt der Aha- oder Wow-Effekt, der es besonders macht, ihm etwas Eigenes verleiht, das man, zumindest glaubt, noch nie gesehen zu haben. Der Schreibstil, gespickt mit Wörtern, die trotz aller Rechtfertigung und Schönheit der Sprache niemand heute so nutzen würde, aber wahrhaftig zu Eleanors Sichtweise passen, kann diesen Umstand leider nicht wettmachen. Darüber hinaus empfinde ich die Charaktere als nicht stark – klischeehafte, übliche Charaktere sind es; der gutmütige Greis, der etwas schmuddelige, ungepflegte IT-Spezialist, das Modepüppchen, das sich offenbar Männer am laufenden Band anlacht und in einem Friseursalon arbeitet. Sobald die Charaktere im Buch eingeführt wurden, hatte ich von Anfang an ein zu klares Bild von ihnen im Kopf, in Bezug auf das ich leider im weiteren Verlauf nicht mehr zum Umdenken gezwungen wurde. Schade finde ich auch, dass man als Dritter, als Leser, irgendwie dazu verleitet wird, seine eigenen Diagnosen abzugeben und sich über eine negative Abgrenzung von Eleanor zu distanzieren; dieser Punkt lässt den Roman manchmal zu einer Art Krankheitsfalldiagnose verkommen.
Wie sich das Buch über die 525 Seiten aufbaut, muss ich resümierend leider sagen, dass ich nicht finde, dass Anfang und Ende zusammenpassen, beziehungsweise mich zufrieden zurücklassen. Was zu einem sehr großen Teil, wenn nicht sogar vollkommen, dafür verantwortlich ist, dass Eleanors Leben sich so gestaltet, wie es sich gestaltet, wird für mich nicht befriedigend aufgelöst, erklärt, mit einem Ende beendet, das Hoffnung birgt, was im Kontext der Story aber sehr wichtig wäre. Bis zum Ende des Buches ist für mich keine ersichtliche Wendung passiert, die aus der Protagonistin selbst kommt, wo sie doch eine unverwechselbare sein soll, wie Jojo Moyes über das Buch gesagt haben soll. Viele Fragen bleiben unbeantwortet und während die Autorin mit ihrem Ende wohl das vielzitierte offene haben wollte, ist es für mich eines mit zu vielen offenen Fragen, die ein regelrecht überhastetes Finale ergeben, das dem Buch nicht gerecht wird und es mir nicht möglich macht, es uneingeschränkt weiterzuempfehlen.
Ich kann leider nicht mit Überzeugung behaupten, dass mir „Ich, Eleanor Oliphant“ länger im Gedächtnis bleiben wird, dafür fehlen mir Stellen, an die ich mich bewusst erinnern würde, wenn ich mir den Titel oder das Cover vor Augen halte.