„Das Licht zwischen den Schatten“ blitzt immer mal wieder hervor im Leben, nichts ist schwarz-weiß. Michaela Beck trägt dazu bei, die deutsche Geschichte in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg bis hin zur Wiedervereinigung anhand dieser Familiengeschichte mit all ihren Schrecken besser zu verstehen. Im Focus stehen Konrad, Brigitte und André. Drei Schicksale, die zunächst jedes für sich steht, deren Verbindung nach und nach sichtbar wird.
Die Autorin erzählt nicht chronologisch, sie beginnt mit Konrad. Mit gerade mal zehn hat er erfahren, dass sein Vater für Kaiser und Vaterland auf dem Feld der Ehre geblieben ist. Mit seinem neunjährigen Bruder Fritz und seiner Mutter lebt er in Berlin. Es ist das Jahr 1919, sie leben mehr schlecht als recht. Der Hunger ist ihr ständiger Begleiter, als ein Apfel auf ihn zurollt und mit ihm auch Selma. Sehr viel später dann werden sie ein Paar. Während die Nationalsozialisten immer stärker werden, ist nicht nur Selma und ihre jüdische Familie gefährdet, auch ihre behinderte Zwillingsschwester Alma. Selma nimmt Konrad das Versprechen ab, Arzt zu werden, um Alma zu heilen und nun ist er Arzt, hat Einblick in die Machenschaften der Nazis, weiß um deren Experimente.
Brigitte wohnt 1950 im Dorf Mecklenburg. Von einem Lehrer bekommt sie ein zerlesendes Exemplar von Anne Franks Tagebuch zu lesen und kann gar nicht so recht glauben, dass dies die schreckliche Wirklichkeit abbildet. Die gezielt eingesetzten Falschinformationen, die subtile Gehirnwäsche trägt bei den Kindern Früchte. Ihr Weg führt sie als junge Erwachsene in ein Waisenhaus nach Brasilien, später dann trifft sie Ulrike Meinhof, die RAF - ein sehr dunkles Kapitel der deutschen Geschichte - wird thematisiert.
André treffe ich 1976 in Ostberlin. Die DDR hat seit jeher ihre Sportler gefördert, auch er wird als Wasserspringer protegiert.
Anhand dieser drei Schicksale erlebe ich deutsche Geschichte. Die abscheulichen Verbrechen während der Hitler-Diktatur, etwa das Programm zur Vernichtung unwerten Lebens, sind Thema. Ebenso das Denunziantentum sowohl in der DDR als auch während der Nazi-Herrschaft. Es geht nach Russland direkt an die Front und in einem weiteren Erzählstrang nach Südamerika, das sich als gutes Versteck für Hitlers Schergen eignet. Lange leben sie hier unbehelligt und doch können sie sich nie sicher sein, doch noch für ihre schändlichen, menschenverachtenden Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Obiges ist nur ein Ausriss aus dem 840 Seiten starken Buch, das trotz seines Umfanges nie langatmig wird. Um die drei Hauptakteure, anhand ihres Lebensweges, lässt Michaela Beck Geschichte lebendig werden. Die Kapitel sind mit Namen, Ort und Jahreszahl übertitelt, so weiß man stets, wem man gerade ein Stück des Weges folgt. Bald merkt man, dass die einzelnen Schicksale miteinander zu tun haben und doch dauert es, bis die Zusammenhänge sichtbar werden. Bei André habe ich schon etwas länger gebraucht, bis ich ihn zuordnen konnte.
Es ist eine Familiengeschichte, die mir sehr nahe gegangen ist. Der gewählte Erzählstil ist behutsam, sowohl Handlung als auch Charaktere dieses historischen Romans sind fiktiv bis auf einige bekannte Personen, die eng mit der deutschen Geschichte verbunden sind. Und doch ist es gelebte Geschichte, die viel Wesentliches anspricht und vertieft. Ein Roman, der meine volle Zustimmung hat, den ich nicht missen möchte.