„Heult leise, Habibis!“ von Sineb El Masrar
Worum geht´s?
Das Buch soll die „vernünftigen Stillen“ dazu anregen, ihre Stimme einzusetzen, damit nicht immer nur die Lauten zu hören sind, die oftmals polarisieren und die Gesellschaft spalten.
Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt, im ersten versucht die Autorin beide Seiten, extrovertierte Laute und introvertierte Leise zu analysieren, warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten.
Sie richtet das Buch an „ignorante Dauerempörte“ (schön formuliert) und versucht ihr Tun mit verschiedenen psychologischen Erklärungsansätzen zu entschlüsseln.
Im ersten Teil des Buches beschreibt sie zudem die Medienlandschaft und verschiedene Effekte, die die Leute, die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf sich ziehen wollen, benutzen. Interessant hierbei waren besonders der „Lady Di“ Effekt und das „Fremdweinen“.
Teil 2 soll dann einige Lösungsansätze aufgreifen, wie z.B. eine gesunde Identitätsbildung, geht dann aber auch wieder auf vermeintliche Ursachen wie Vaterlosigkeit ein.
Im dritten Teil führt sie an Beispielen wie z.B. Bin Laden und Hitler vor, wie diese das Volk verhetzten und eine Vielzahl darauf hereinfiel bzw. fällt und aus welchen Gründen. Und dass dagegen die „vernünftigen Stillen“ ihr Wort in die Waagschale legen sollen.
Vieles bringt die Autorin in den Kontext des dritten Reichen oder des Israel-Palästina Konfliktes, der ehemaligen DDR oder Islamisten, auch zu Hetzkampagnen auf Social Media.
Sinen El Masrar ist 1981 in Hannover geboren, ihre Eltern stammten aus Marokko. Sie ist als Autorin, Moderatorin und Journalistin sowohl in Print als auch in Online-Medien tätig. Zum Beispiel auf „Twitter-X“ ist sie auf social media aktiv.
Meine Meinung:
Der erste Buchabschnitt hat mich zum großen Teil noch überzeugt, ich fand die Gedankengänge ganz interessant, wenn auch nicht immer stimmig.
Besonders dass sie das Buch an „ignorante Dauerempörte“ richtet, die es lesen sollen. Erstens: wer würde sich von sich aus zu dieser Gruppe zuordnen und zweitens das Buch, in dem diese Gruppe von vorne bis hinten kritisiert wird, lesen?
Gut, sie will auch „vernünftige Stille“ motivieren, ihr Wort zu erheben. Aber gerade, dieses Polarisieren und schwarz-weiß Denken, prangert sie an und benutzt es dann selbst. Stille – sind nicht immer vernünftig, intelligent und auf der „richtigen“ Seite. „Laute“ richten nicht immer Schlechtes an, sind nicht immer auf der „falschen“ Seite. Social Media Leute liefern nicht nur Fake News und bekommen erotische Gefühle, wenn sie viele Likes und Aufmerksamkeit auf ihre polarisierten News bekommen. Und: es gibt nicht nur „Stille“ und nicht nur „Laute“, sondern dazwischen jede Menge Nuancen.
Kinder, die ohne Vater aufwachsen, bekommen nicht automatisch Störungen sexueller oder beruflicher Art . Dies nur ein Beispiel von vielen, das mich im zweiten Teil enorm störte und ich froh war, als ich das Buch ausgelesen hatte. Als sie dann noch Klischees über die ehemalige DDR brachte, Alleinerziehende und Ödipuskomplex fast gleich setzte, war für mich das Maß voll.
Der zweite Abschnitt fing sinngemäß an, als sich 2 Wessis und ein Ossi tief im Osten trafen und das Gespräch so lief: von DDR und dass sich Demokratien nicht nur durch Wahlen legitimieren auf Wahlen in der Türkei, Erdogans Drohung mit „Halbmond gegen Kreuz“, Judenhass, Palästina-Israel-Konflikt, antidemokratische Machtübernahme nicht nur durch Putsch – das alles auf sechs Seiten, das war mir alles sehr verkürzt, sehr oberflächlich aneinander gereiht.
Das Cover mit dem Auge und des etwas provokanten Titels finde ich gelungen, allerdings ist der Schutzumschlag von schlechter Qualität, knittert sehr leicht und hat eine grauenvolle Haptik. Der Schreibstil ist in Ordnung, psychologische Hintergründe sind so erklärt, dass sie leicht zu verstehen sind.
Fazit:
Mäßige Leseempfehlung.
Die, an die es zum einen gerichtet ist, werden es kaum lesen und sich um 180 Grad (oder waren das 360 Grad? :-) ändern. Die, die lauter werden sollen, werden dadurch wahrscheinlich ihr Verhalten auch nicht ändern. Sie werden auch kaum in der Politik oder Gesellschaft was ändern können, denn wie in Talkrunden, werden Gespräche nicht moderiert und Introvertierte so wohl nicht zu Wortführern.
Einige der Erklärungen und Ansichten der Autorin haben mich richtiggehend abgestoßen, diese Beispiele fand ich sehr einseitig, überholt bzw. nicht richtig.
Auch hätten meiner Meinung nach z.B. politische Instrumentarien, wie das Schweizer System der Volksabstimmung oder andere Entscheidungsgremien zu den Lösungsansätzen gehört.
2 von 5 Sternen.