Wer noch die freche Art von Theo und die direkte von Winston gewohnt ist, der sollte schleunigst umpolen, denn Liz und Nate sind zwei vollkommen andere Charaktere.
Liz stand bei einem Konzert mitten im Publikum, als es zu einem Amoklauf kam, der ihr Leben komplett umkrempelt. Jetzt ist das zu Beginn des Buches fast einen Monat her, doch natürlich suchen sie die Dämonen jenen Abends immer heim. In den unerwartetsten Momenten erleidet sie Panikattacken. Ein Mitbringsel, dass sie am liebsten eor allen geheimhalten möchte, da sie nicht zu einer schwachen Person degradiert werden möchte. Nun kommt es, wie es kommen muss, ihr entgleitet die Kontrolle und ist nicht mehr länger die einzige, die von den Panikattacken weiß. Nate, ein Austausch-Student aus den Arkansas, USA wird Zeuge davon und manövriert sich damit direkt in die Position des Zuhörers. Und es stellt sich heraus, dass Nate ein sehr guter Zuhörer ist. Zwischen Liz und ihm passt es sofort und es braucht nur eine wachgebliebene Nacht, um die beiden auf eine Ebene zu bringen, die man normalerweise erst nach einer Handvoll Dates erreicht. Die beiden gleichen sich aus, verstehen einander auch ohne viele Worte und es dauert nicht lange, bis die beiden zueinander finden. Und ihre Beziehung ist von Anfang an stark. Nate weiß genau, wann er still zu sein hat und wann er Liz an ihre Grenzen bringen muss, damit diese nicht den Boden unter ihren Füßen verliert. An seiner Seite fühlt sie sich besser, sicherer und schafft es, über ihre neuen Schatten zu springen und wieder zurück in den Alltag zu finden. Was Liz nicht weiß und auch erst sehr viel später bemerkt: Auch Nate hat mit Dämonen zu kämpfen, deswegen weiß er, wie er mit Liz in ihren Momenten umzugehen hat. Der Unterschied zwischen den beiden? Auch wenn es so wirkt, Nate ist noch längst nicht dort angekommen, wo er Liz hinbringen möchte. Die Ziellinie, die sagt “Ich kann das, ich hab es geschafft, die Welt kann mir nichts.” Doch was Nate nicht mit einkalkuliert ist, dass die Liebe und Zuneigung die er für Liz spürt, auf absolute und bedingungslose Gegenseitigkeit beruht und er nicht alleine sein muss, wenn seine Dämonen nach ihm greifen.
OOL besteht aus zwei Story-Elementen. Zum einen gibt es die Gegenwart und zum anderen Nates Logbuch, welches Liz schreibt. In dem Logbuch erzählt sie von ihrer gemeinsamen Zeit, den Erinnerungen, die sie miteinander teilen und auch ihre Gefühle für ihn. Auch schreibt sie Zugeständnisse nieder, in denen sie Fehler einkehrt, aus denen man erst nach und nach schlauer wird. Es ist eine Art Tagebuch, weshalb die Gedanken roh und ehrlich sind. Sie sind an Nate adressiert, der die Einträge eines Tages bekommen soll, wenn er im Sommer zurück in die USA kehrt.
Im Grunde ist OOL ein ganz langer Brief voller Erinnerungen und die Gegenwart-Story thematisiert die letzten Wochen und das Ende des Buches. Am Anfang könnte das noch irritierend wirken, weil man von einem Kontext in den anderen gesogen wird, aber es gibt der Geschichte viel mehr Dynamik. Liz erinnert sich an Momente, in denen sie sich immer mehr in Nate verliebt hat und dann sind wir als Leser in genau dem Moment. Oder, Liz schreibt wütend in das Buch und irgendwann sind wir an genau der Stelle, wo sie wütend hineingeschrieben hat. Es gibt dem ganzen meiner Meinung nach sehr starke Greifbarkeit.
Um eine ehrliche Bewertung schreiben zu können, tut es wohl gut, OOS abzuhaken (auch wenn es ein kleines Wiedersehen gibt :)), da Nate und Liz eine ganz, ganz andere Geschichte und Beziehung zueinander haben, als es das Pärchen in Teil 1.
Nate ist der perfekte Book-Boyfriend (sag ich jetzt mal so heraus). Seine kleinen Gesten sind purer Zucker und ich habe vor Entzückung geseufzt, als er das ein oder andere Mal genau so reagiert hat, wie man es sich gewünscht hat. Einen weiteren Pluspunkt bekommt er von mir, weil er trotz seiner Stille kein einseitiges Stück Papier ist. Er hat durchaus seine frechen Momente.
“Ist das gerade ein Nervenzusammenbruch?” Nates Stimme klingt sanft und so unbekümmert, dass er vermutlich keine ernstzunehmenden Ängste um meine Psyche aussteht. “Ich denke nicht, dass du dir irgendwelche Sorgen machen musst. Sollten wir Turbulenzen haben, hast du alles dabei, um zur Not ein Ersatzflugzeug zu bauen.”
ONLY ONE LETTER – ANNE GOLDBERG S. 74
Mit Liz hat er sein Gegenstück gefunden, denn während er schweigt und Stürme ausharrt, plappert Liz am laufenden Band. Das macht beide zu unfassbar sympathischen Charakteren. Auch hier hat die Autorin gezeigt, dass sie ein Händchen für die Details hat. Gedankengänge von Liz sind unterhaltsam und nachvollziehbar und ihre Charakter-Stimme ist sehr ausgeprägt und stark. Aber auch bei Nate, der ja nun wesentlich stiller ist, erhalten wir schon sehr viel Tiefe. Warum? Weil Anne das foreshadowing liebt und so behält man als Leser immer einen ungemütlichen Vorgeschmack, wann immer die Autorin das macht. Man weiß, es ist zu schön, die Beziehung und das Leben der beiden (im Großen) zu unproblematisch für das, was noch kommen wird. Je mehr man liest, umso mehr Theorien stellen sich einem auf. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass es vor allem so bei 80% des Buches zu so einigen Fragen und Theorien kam, und ich gar nicht wissen wollte, welche davon denn nun zutrifft. Genau genommen, hab ich ab ungefähr diesem Teil nicht mehr wirklich dem ganzen “entgegengefiebert”, als vielmehr wirklich Sorge gehabt, was denn kommen könnte, hahah. Herzklopfen, weil man es ahnt und es doch irgendwie nicht wahrhaben möchte. Natürlich habe ich dann trotzdem weitergelesen und muss sagen, dass mir gefallen hat, dass der Fokus nicht mehr bloß auf Liz gelenkt wurde, sondern nun viel mehr auf Nate und dessen Dämonen. Viel von seinem Verhalten und wieso er Liz so blind verstehen kann wird klar, auch wenn ich Nate echt hier und da sehr gerne angeschrien hätte. Ich wäre an Liz Stelle nicht geblieben, muss ich hier ganz ehrlich sagen, Book-Boyfriend-Qualities hin oder her. Umso deutlicher wird, wie stark die Beziehung der beiden ist und wie sehr Liz in der ganzen Zeit gewachsen ist, dass sie sich den Problemen von Nate annehmen kann, ohne in Panik auszubrechen.
Im Großen und Ganzen kann man Only One Letter als eine Hommage an die Liebe ansehen. Eine Liebe, die nicht nur aus guten Zeiten besteht und durch die schlechten nur noch stärker wird. Das Buch konzentriert sich auf die Beziehung von Liz und Nate und wie diese durch die Hindernisse geformt und geprägt wird. Die beiden können sich sehr glücklich schätzen, einander gefunden zu haben, denn ich behaupte jetzt mal, dass niemand anderes so für sie hätte dasein können, wie die beiden es sind. Dass dabei alles andere teils in den Hintergrund fällt, stört mich überhaupt nicht. Da hat Anne eine gute Balance hinbekommen, denn durch die Rückblicke, die ja durch die Einträge zur Gegenwart werden, bekommt man dennoch ein sehr umfassendes Bild von Liz und Nates Leben in London.
Es geht allerdings in OOL trotzdem vorrangig um Liz und um Nate und um das, was die beiden verstehen und ohne viele Worte miteinander teilen und das ist der Autorin mit viel Gefühl, Emotionen Echtheit und Verletzbarkeit gelungen.
Only One Letter ist wohl nicht für jeden etwas, aber wer sich auf die Geschichte einlässt wird mit einer Love-Story belohnt, die stärker ist als die von Rose und Jack von Titanic.
Nachtrag: Ich sollte noch erwähnen, dass ich an mehreren Stellen Gänsehaut bekommen hab 😀