Marlene, Tochter einer sehr erfolgreichen und etwas herzenskalten Professorin der Germanistik, kommt, nachdem sie promoviert hat, nicht richtig im Leben an. Sie bewirbt sich auf viele Stellen, die den hohen Anforderungen ihrer Mutter genügen würden, aber sie wird nirgendwo genommen. Dann entdeckt sie inmitten einer Postfiliale in ihrer Nachbarschaft einen Buchladen, wo eine Verkäuferin gesucht wird. Kurzentschlossen bewirbt sie sich, obwohl die Stelle so überhaupt nicht das ist, was sie sich vorgestellt hatte. Zwar liebt sie Bücher, aber ihre Mutter hätte sich für sie eher eine wissenschaftliche Karriere gewünscht.
Nach und nach findet Marlene Gefallen an ihrem neuen Job. Sie bringt Schwung in das in die Tage gekommene Buchcafé, gründet eine Schreibwerkstatt und findet im Verlauf des Romans ihren ganz eigenen Weg.
Unter den Schreibbegeisterten der Schreibwerkstatt ist auch die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzende, siebzehnjährige Amelie. Als Marlene ihren attraktiven Bruder Johannes kennenlernt, ahnt man als Leser bereits, wo dies hinführen könnte. Johannes und Marlene lernen sich durch Amelies tatkräftige Unterstützung nach und nach besser kennen. Marlene verliebt sich, allerdings hat Johannes nicht nur bereits eine Freundin, es gibt auch ein unverarbeitetes Trauma, das ihm zu schaffen macht und das mit dem Unfall seiner Schwester zusammenhängt. Wie die Geschichte um Marlene, Amelie und Johannes weiter- und aus geht soll hier nicht verraten werden. Da jedoch weiter unten ein Hinweis auf den Ausgang der Geschichte gegeben wird, warne ich an dieser Stelle dennoch vor dem unten folgenden SPOILER.
Meine Meinung
Als ich das Cover des "Kleinen Buchcafés an der Isar" gesehen habe, war ich sofort hin und weg und wäre am liebsten reingesprungen. Auch die Leseprobe des Romans hat mich gefesselt und ich wollte immer weiterlesen. Doch am besten war natürlich der Roman selbst. Die Mischung aus Liebes- und Entwicklungsroman ist sehr gelungen, der Schreibstil von Emilie Thomas ist wunderbar unaufgeregt und flüssig.
Die Autorin schafft es, eine Atmosphäre zu kreieren, die zum Verweilen und sich Wohlfühlen einlädt. Man wird mit in das Savoir Vivre der Münchener Gipfel-WG genommen, die aus Marlene und ihrer Freundin Canan besteht, und zu deren größeren Kreis natürlich noch mehr Freunde gehören. Es gibt Kochabende, Picknicke am Flaucher und gemeinsame Feiern im Old Irish. Der Roman "atmet München": Ob das Kapuzinerviertel beschrieben wird, oder Marlene die Eisbachwelle passiert und den Englischen Garten hinter sich lässt, man befindet sich als Leser hautnah dabei.
Die Geschichte der jungen Frau, die darum kämpft, in ihrem Leben anzukommen, hat mich auch deshalb so sehr berührt, weil Marlene so sympathisch und mir dadurch nah ist. Sie ist hilfsbereit – bringt beispielsweise der Obdachlosen Gerti Kaffee und Kekse und rettet sie später sogar. Marlene nimmt ihr Leben aktiv in die Hand. Auch wenn sie zunächst in die völlig falsche Richtung rennt, bewundert man ihren Tatendrang und möchte viel Zeit mit dieser netten, interessanten Person verbringen, die sich nicht nur durch Stärken auszeichnet, sondern auch mit Schwächen zu kämpfen hat. Sie ist oft sehr unsicher, was mich sofort noch mehr mit ihr verbunden hat. Wer kennt das nagende Gefühl nicht, zu glauben, man sei nicht gut genug, weil es die Mutter, Eltern oder die Gesellschaft so sagen? Dabei zählen doch im Leben nicht die Höhe des Gehalts oder das Prestige des Jobs, sondern dass man glücklich ist. Das zumindest lernt Marlene, die sich zu Beginn des Buchs noch sehr bemüht der Mutter zu gefallen, und am Ende zu sich und dem Beruf gefunden hat, der wirklich zu ihr passt.
Die Liebesgeschichte zwischen Marlene und Johannes beginnt lustig, geht temporeich weiter und hat mich in einem angenehmen Spannungszustand gehalten. Besonders schön fand ich hier, wie Marlene sich nicht davon abbringen lässt, tiefer zu schauen, als es gesellschaftlich angebracht scheint. Das ist für Johannes, der wegen des Traumas nur oberflächliche Bindung zulassen kann, schwer. Aber Marlene lässt sich nicht beirren, sie fühlt tief, schaut weiter hin und hinterfragt, wo andere wegsehen und behält mit dieser Philosophie am Ende recht.
Abschließend ist der Roman für mich perfekt gelungen, und zeichnet sich durch einen tollen Schreibstil aus, durch eine Atmosphäre, die den Leser den eigenen Alltag vergessen und in den Roman abtauchen lässt, durch authentisch und lebendig dargestellte Figuren, angenehmes Tempo und zum Nachdenken anregenden Tiefgang.
#Fazit#
Ich würde dieses Buch unbedingt jedem empfehlen, der gut geschriebene Liebes- und Entwicklungsgeschichten mag, die ans Herz gehen und ernste Themen auf eine kluge und sensible Art behandeln. Das Cover hält, was es verspricht: Das Buch entführt den Leser hinter die Kulissen und am liebsten möchte man nicht mehr daraus auftauchen. Aber der Tag kommt, und dann bleibt einem nichts anderes übrig, als auf das nächste Buch von Emilia Thomas zu warten – oder, wenn noch nicht gelesen, den Vorgängerroman zu lesen.