Die deutsche Autorin Jasmin Schreiber ist, wie man ihrer Autorenbeschreibung im Schutzumschlag entnehmen kann, nicht nur studierte Biologin, sondern auch als leidenschaftliche Bloggerin unter dem Namen "LaVieVagabonde" und ehrenamtlich als Sterbebegleiterin tätig. Mit "Marianengraben" präsentiert sie uns ihren erst kürzlich erschienenen Debütroman. Welche Erwartungen an die geübte Schreiberin kann er erfüllen?
Bereits die wunderschöne Aufmachung und der überzeugende Klappentext konnten in mir starkes Interesse wecken. Dass die Autorin einige biographische Elemente in ihr Werk mit einfließen lässt, steigert den Authenzitätsgrad deutlich. "Marinengraben" setzt sich schonungslos mit emotional brutalen Thematiken wie dem Tod, Ansprüche an das eigene Leben und die den Menschen nach einem Verlust verfolgende Schuldfrage auseinander; zudem ist die Protagonistin eine promovierende Biologin.
Das vorliegende Buch ist, und das möchte ich hier bereits vorwegnehmen, bereits jetzt ein würdiges Jahreshighlight für mich – und dies liegt an vielen Aspekten, die "Marianengraben" für mich außergewöhnlich machen. Diese Geschichte fühlt sich an wie etwas Besonderes, das in dieser Kombination außergewöhnlich und neu ist.
Die Ausarbeitung der Figuren ist Jasmin Schreiber wunderbar gelungen. Paula und Helmut sind zwei authentische Personen, die mitsamt ihren Eigen- und Besonderheiten geschildert und durch ihre bewegenden Hintergrundgeschichten ausgeleuchtet werden. Sie fügen sich nicht in das Konstrukt austauschbarer, blass bleibender Charaktere ein (wie es in heutiger Literatur immer öfter der Fall ist), sondern etablieren sich als liebenswerte, erfrischend unterschiedliche Figuren.
Der Roman ist eine abstruse Mixtur aus skurrilen Zusammenkünften und kuriosen Zufällen, die in eine handlungstechnische Entwicklung münden, die ich so noch nicht erlebt habe und in jeder Hinsicht progressiv und originell ist. Die zwei unterschiedlichen aufeinanderprallenden Zeitebenen und weltanschaulichen Geisteshaltungen von Helmut und Paula fügen sich zu einem oftmals ungewollt komischen und zugleich tiefgründigen Ganzen, das zu keiner Zeit langatmig wird, sondern die Leser*innen ab der ersten Seite auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitreißt.
Der Umgang mit den bereits genannten, ernsten Thematiken wirkt zwischen all den lustigen, entlastenden Elementen behutsam und ehrlich. Die Autorin schenkt Kraft und Mut zum Wiederaufrappeln, Weitermachen, Weiterleben, lässt aber genügend Raum für eine klare Daseinsberechtigung von Trauer und Schmerz.
"Marianengraben" ist ein abwechslungsreicher, unvorhersehbarer Roadtrip mit knuffigen Wendungen und traumhaften Kulissen. Jasmin Schreiber zeigt, was für eine fabelhafte Erzählerin sie ist, indem sie teils amüsant, teils poetisch anmutend und berührend schreibt, dass die Leser*in einen wahren, zuschnürenden Kloß im Hals bekommt und den Tränen nah ist.
Aber ist es doch die aufopfernde, alles aufbrauchende Liebe und der Umgang mit dem eigenen Verlust der Hauptfiguren, was mich am meisten ergriffen hat. Die eingeschobenen Szenen, in denen Paula in Erinnerungen an ihren Bruder schwelgt, setzen sich collagenartig zu einem erfüllenden Person über eine Person zusammen, die "nur" noch im Herzen existiert und dort nach Fischen und Krabben sucht. Helmut und seiner ungeheuren emotionalen Stärke, die er nicht nur selbst aufzubringen, sondern auch an Paula weiterzuschenken weiß, erweise ich größten Respekt.
"Marianengraben"
ist etwas Außergewöhnliches, Ergreifendes, noch nicht Dagewesenes – unbedingt lesen!